Einige Gedanken zu der Geschichte der Deutschen in Lissabon und einer europäischen Integration und Bürgerschaft
Von Andreas Dornseifer
I.
"Wissen Sie, also, Deutsche gibt es schon seit achthundert Jahren hier in Lissabon!". Überrascht und fasziniert gerate ich ins Nachdenken: Wie kann es sein, dass sich Deutsche mit dem ihnen zugewiesenen kalten nordischen Temperament in Lissabon niederlassen? Warum ausgerechnet in der portugiesischen Hauptstadt, in der, wie im gesamten Land das Leben jedenfalls etwas komplizierter wird, ohne die Bereitschaft zum "desenrascar", der Fähigkeit, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eine irgendwie geartete unangenehme Lage erfolgreich zu meistern?
Monika Wittmer, Präsidentin des Deutschen Vereins in Lissabon, fährt fort: "Ich würde auch sagen, dass die Integration der Deutschen in Lissabon und Portugal gelungen ist".
Wieder taucht dieses Wort "Integration" auf, das gegenwärtig in sämtlichen Diskussionen, seien sie gesellschafts-, wirtschafts- oder verfassungspolitischer Natur, ein Schlüsselwort zu sein scheint, sich aber in seiner praktischen Bedeutung für einen Fremden im Ausland vermutlich am sichtbarsten zeigt - und es gibt eben auch Deutsche, die im Ausland leben, nicht nur umgekehrt.
Wenn man von der Geschichte der Deutschen in Lissabon erfährt, stellt sich zwangsläufig die Frage, was Integration bedeutet und es kommen verschiedene Gesichtspunkte und Begriffe auf, die mit diesem Wort verwoben sind wie Identität, Nation, Demokratie, Toleranz, Selbstbestimmung, individuelle Entscheidungsfreiheit. Ohne auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Integrationsvoraussetzungen und dem Integrationsbegriff eingehen zu wollen, glaube ich aber, dass die Fragen der Identität - dieser Begriff umfasst jene der Demokratie, Nation, etc. - und der individuellen Entscheidungsfreiheit zu den massgeblichen Aspekten in der Bewertung des Problems der Integration gehören (s.u. III ).
Wer dann auf einer Kaimauer am Ufer des Tejo sitzt, die überwältigende Ruhe und Weite der Flussmündung betrachtet, den von der Avenida Infante Dom Henrique herrüberschallenden Verkehrslärm aber nicht ignorieren kann, der schwankt in seiner Haltung gegenüber dem Phänomen der in Lissabon niedergelassenen Deutschen. Da gibt es dieses Gefühl des Geheimnisvollen, des wie von Geisterhand Gesteuerten bei dem Gedanken an das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen. Die Sichtweise ändert sich jedoch ganz schnell und man hält es auch für möglich, dass sich Menschen aus persönlichen Gründen entschieden haben, in Lissabon zu leben ohne die ausgesprochene Absicht, eine ständige kulturelle Begegnung zu organisieren oder zu institutionalisieren. Ich kann mir dann vorstellen, dass diese Menschen wie Portugiesen heute über den Verkehr, die Kriminalität, die Regierung, Bürokratie schimpfen und gedankenlos Lissabons Strassen überqueren, obwohl die Fussgängerampeln auf rot geschaltet sind, um in irgendeinem Café unter dem weiss-grau matten Licht der Leuchtröhren hastig eine "bica" (Lissabonner bzw. südportugiesischer Espresso) oder einen frisch gepressten Orangensaft mit Eiswürfeln zu trinken.
Aber vielleicht sind diese beiden Gefühlshaltungen, was Kulturbegegnung in der Gegenwart angeht, nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Die Entscheidung, sich in Lissabon niederzulassen, mag ja autonom gefasst sein. Sobald sich das Individuum dann in einem anderen Land oder Staat - objektiv existiert nun einmal eine Ordnung von Gemeinschaften von Menschen nach Staaten- befindet, wird diesem bewusst, dass zu den Identifikationsmerkmalen des Individuums auch Tatsachen gehören, die ihren Ursprung nicht in dem konkreten Individuum selbst haben, sondern abstrakte, überindividuelle Bezugspunkte darstellen, die eine bestimmte Anzahl von Individuen, eine Gemeinschaft, z.B. als Nation, in Anspruch nimmt. Diese Bezugspunkte, seien es sittliche Werte und somit die gemeinsame Überzeugung von einer für das Leben geeigneten Bildung, musikalische Vorlieben oder Vorstellungen über geselliges Beisammensein, scheinen einem Individuum gleichsam anzuhaften und ihre aktive Verwirklichung im Leben zu suchen gleich an welchem Aufenthaltsort sich das Individuum befindet.
Die zwingende Folge ist die der Kulturbegegnung, der Begegnung, des Verständnisses vielleicht auch Konfrontation von Lebensweisen, die organisiert und institutionalisiert werden kann und tatsächlich wird.
Die warmen Farben der Praça do Comércio am späten Nachmittag und ein aufkommender frischer Wind lassen mich die Gedanken hierüber auf den nächsten Tag verschieben.
Integration heisst vom Wortursprung her Zusammenschluss, Vereinigung. Im alltäglichen Sprachgebrauch bezeichnet "Integration" den Vorgang oder den Zustand, einen Fremden in die eigene Gemeinschaft aufzunehmen, ohne dass sich beide Seiten in ihrer jeweiligen Lebensweise zu stark beeinträchtigt fühlen, ausgehend von dem Bewusstsein der (Über-) Lebensnotwendigkeit des Prinzips der Toleranz und der menschlichen Notwendigkeit, auf andere Menschen angewiesen zu sein.
Integration sei ein normativer Erfolgsbegriff und charakterisiere einen Zustand bzw. einen Prozess als normativ wünschenswert, führt Gary S.Schaal aus (Integ-ration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung?, Berlin, 2000) und vertritt unteren anderem die Thesen, dass die Anerkennung von Differenz angesichts des Faktums des Pluralismus überhaupt erst erfolgreiche Integration ermögliche, dass die erfolgreiche Integration die Ausbildung personaler Identitäten ermögliche und dass sich die Bürger in diesem Zusammenhang wechselseitig als freie und gleiche Rechtsgenossen anerkennen würden.
Dies gelte jedoch nur für Gesellschaften, die ein gewisses Maß an Homogenität besässen, die intern pazifiziert seien und ein hinreichendes Maß an positiver Verrechtlichung erreicht hätten (Schaal, S.47). Die weitere Integrationsherausforderung, die sich aus Migration und Globalisierung ergebe, führe zu der Frage, welches das ethische Minimum sei, das von den Mitgliedern einer Gesellschaft geteilt werden müsse, damit Integration erfolgreich sein könne (Schaal S.13).
Die Frage der Integration stellt sich als eine äußerst vielschichtige und komplizierte heraus, die zu ihrer erfolgreichen Beantwortung eigentlich kulturvergleichende Forschungen erfordert, wenn von einem notwendigen gemeinsamen ethischen Nenner die Rede ist. Dieses bei dem zu Integrierenden und dem Integrierten vorauszusetzende ethische Minimum ist meiner Ansicht nach ebenfalls Grundbedingung für eine erfolgreiche Integration. Dies zeigt sich allein daran, dass Integrationsprozesse auch in vordemokratischen, nicht positiv rechtlich verfassten Gesellschaften stattgefunden haben.
Die Verwirklichung des ethischen Minimums letztlich zum Zweck des Lebenserhalts des Einzelnen und der danach ausgerichteten Handlungen des Menschen muss von dem Einzelnen gewollt sein. Dieser Wille wiederum ist geprägt von dem Zeitgeist der jeweiligen Epoche, den Motiven und Zwecken einer Integration.
Dies zeigt sich auch an der aktuellen Debatte um die Einwanderung nach Deutschland, in der wirtschaftliche Notwendigkeiten als Motiv klar definiert sind, die Intensität, die Art und Weise des Integrationsprozesses aber fraglich bleiben.
Aber auch Portugal sieht sich Einwanderungsbestrebungen und Integrationsproblemen ausgesetzt. So beantragten im Jahr 2000 nach Erhebungen des Nationalen Statistikinstituts (Instituto Nacional de Estatística -INE) 18.412 Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung. 830 von ihnen besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit.
Die zahlenmäßig weitaus größte Gruppe der Antragsteller bildeten mit 9.632 Menschen immer noch Afrikaner - hierunter insbesondere diejenigen, die aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien stammen. Deren Integration gestaltet sich als besonders schwierig, scheinen doch die Unterschiede zu den Portugiesen im Hinblick auf die finanziellen Kapazitäten, die Ausbildung und Erziehung kaum überbrückbar zu sein.
Was Portugal und die Deutschen betrifft, kann von einem grundsätzlichen beiderseitigen Integrationswillen gesprochen werden, der wie aus der folgenden historischen Darstellung "zwischen den Zeilen" zu erschließen sein wird auch auf unterschiedlichen Gründen beruhte und unterschiedlichen Zwecken diente.
II.
Es wäre ohne weiteres möglich und ebenso notwendig, Jahre damit zu verbringen, die vielen kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Einflüsse der Deutschen in Lissabon und Portugal aufzudecken und in entsprechender Form ausführlich darzustellen. Überraschend ist für mich die Vielzahl von Autoren, die schon Literatur innerhalb dieses weiten Themenfeldes veröffentlicht hat. Auf einige Veröffentlichungen werde ich mich in der folgenden Darstellung beziehen. Angesichts der Fülle der Daten, Persönlichkeiten und Ereignisse, die dargestellt werden könnten, beschränke ich mich auf schlaglichtartig nur einige.
Die 1090 an eine Dynastie der Burgunder gefallene Grafschaft "Portucale" findet nach langen Auseinandersetzungen mit den spanischen Königtümern endgültig im Jahre 1143 durch den Vertrag von Zamora Anerkennung als unabhängiges Königreich Portugal.
1147 ist das Jahr des ersten Kontakts von Deutschen mit Lissabon. Kreuzritter aus dem Rheinland kämpften im Heer des ersten portugiesischen Königs Dom Afonso Henriques gegen die Mauren während der Eroberung Lissabons. Einer der Kreuzritter war Heinrich von Bonn. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof der Klosterkirche von São Vicente; sogar in den "Lusiaden", dem Epos von Luís de Camões, findet Heinrich von Bonn Erwähnung ("Lusíadas", VIII, 18):
"Não vês um ajuntamento, de estrangeiro
Trajo, sair da grande armada nova,
que ajuda a combater o Rei primeiro
Lisboa, de si dando santa prova?
Olha Henrique famoso cavaleiro,
a palma que lhe nasce junto à cova.
Por eles mostra Deus milagre visto;
Germanos são os Mártires de Cristo."
Hier sieh die Flotte zum Gestade bringen
Den grossen Zug im fremden Kriegerkleid;
Dem ersten König hilft er kühn bezwingen
Lisboas Vest` und Volk im heil`gen Streit;
Und sieh den herrlichen Henrique ringen,
An dessen Grab die Palme dort gedeiht;
Gott wies an Beiden wunderbar den Ahnen:
Blutzeugen Christi seien die Germanen.
(Storck, Wilhelm: Luis de Camoens,
Die Lusiaden, Paderborn, 1883)
Seitdem liessen sich Söldner und vor allem Gewerbetreibende in Lissabon nieder. Mit der Intensivierung der Handelsbeziehungen, insbesondere zu den Städten der Hanse, wurden die Beziehungen des Deutschen Reichs mit Lissabon und Portugal enger. Infolgedessen liessen sich ab dem ausgehenden 13. Jahrhundert vermehrt deutsche Handelsleute nieder. Der Begriff der Deutschen bezog sich damals auf alle aus den hoch- und niederdeutschsprachigen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation stammenden Personen (Erhardt, Ma-rion: "Bartholomäus-Brüderschaft der Deutschen in Lissabon" in: Deutscher Verein in Lissabon - Clube Alemão em Lisboa 125 Jahre; Lissabon, 1995, S.47.). Michael Overstädt ein hanseatischer Kaufmann avancierte um 1280 herum sogar zum "Wirtschaftsberater" des Königs Dom Dinis. Ausserdem gilt der aus Deutschland Holz importierende, auf Portugiesisch genannte, "Miguel Sobrevila" als eigentlicher Begründer der deutschen "Kolonie" in Lissabon, die 1291 nach dem Bau der Kirche von S.Julião in der Seitenkapelle S. Bartolomeu über einen gemeinsamen religiösen und gesellschaftlichen "Fixpunkt" verfügte. Dieser Zeitpunkt gilt zudem als Gründungsjahr der deutschen Bartholomäus-Brüderschaft. Brüderschaften waren religiöse Vereinigungen zur Pflege des Got-tesdienstes und der Wohltätigkeit.
Noch heute existiert diese Brüderschaft und unterhält unter anderem ein Seniorenheim in Estoril und ist Vermieterin des Gebäudes der Deutschen Grundschule in Estoril.
Die wirtschaftlichen Beziehungen intensivierten sich insbesondere nach der Entdeckung des Seeweges nach Indien im Jahre 1498 durch Vasco da Gama.
Dadurch entwickelte sich Lissabon zu dem wichtigsten Wirtschafts- und Finanzplatz der Alten Welt. In der portugiesischen Hauptstadt liessen sich viele deutsche Kaufleute nieder und der Handel mit Gewürzen aus den neu entdeckten Ländern veranlasste deutsche Handelshäuser wie die der Fugger und Welser Niederlassungen in Lissabon zu gründen.
Die portugieisischen Könige gewährten den deutschen Kaufleuten Priviliegien, die es im Jahre 1504 den Handelshäusern der Fugger, Welser und Hochstetter erlaubten, durch eigene Schiffe unmittelbaren Handel mit den entlegenen Orten zu treiben. Die wirtschaftliche Verbundenheit Lissabons mit deutschen Städten, besonders mit Hamburg fand Ausdruck in dem finanziellen Verlust der Hamburger Kaufleute nach dem folgenschweren und ganz Europa geistig bewegenden Lissabonner Erdbeben von 1755. E.A.Strasen und Alfredo Gândara beziffern in ihrem Buch "Oito Séculos de História Luso-Alemã" (Berlin, 1944) den Schaden auf damals vier Millionen Taler.
Einer der bekanntesten Deutschen, die zu den Zeiten der portugiesischen Entdeckungsfahrten in Lissabon lebten, war Martin Behaim (1459 bis 1507). Im Jahre 1484 gelangte Behaim nach Lissabon, der seiner Ausbildung nach wohl ein Kaufmann war und mit nautischen Instrumenten handelte. Überliefert ist seine Teilnahme an einer Reise an die westafrikanische Küste im Jahre 1485 als Begleiter des portugiesischen Seefahrers Diogo Cão. Martin Behaim konstruierte schliesslich im Jahre 1491 den ersten heute noch erhaltenen Globus.
1507 starb Behaim im Hospital der Bartholomäus-Brüderschaft und wurde in der später durch Erdbeben zerstörten Kirche S.Domingos beigesetzt.
Zahlreiche deutsche Reisende beteiligten sich im 16. Jahrhundert an den portugiesischen Fahrten in die Neue Welt. Bekannt sind zum Beispiel die Reiseberichte von Hans Mayr und Balthasar Sprenger, erschienen 1509.
Nicht nur die wirtschaftliche Beziehung bewirkte einen kulturellen Austausch zwischen Deutschland und Portugal. Auch die von Portugal geführten Kriege und die koloniale Expansion hatten zur Folge, dass sich Deutsche, insbesondere Waffenschmiede in Lissabon niederliessen. Etliche deutsche Soldaten kämpften sowohl 1385 in der Schlacht von Aljubarrota gegen Kastilien auf seiten Portugals als auch bei der Eroberung der nordafrikanischen Stadt Ceuta im Jahre 1415, unter ihnen der Dichter Oswald von Wolkenstein. Durch die Teilnahme an portugiesischen Expeditionen jeglicher Art übernahmen die jeweiligen Söldner oder Handelsleute eine Art Multiplikatorenfunktion und infolgedessen stieg in Mitteleuropa das Wissen um die Existenz und die Kultur Portugals. Auch an der Schlacht von Alcácer Quibir 1578 auf heute marrokanischem Boden waren deutsche Söldner beteiligt, von denen über dreitausend ihr Leben verloren.
Der Tod des jungen portugiesischen Königs D. Sebastião in dieser Schlacht leitete schliesslich die 60jährige Regentschaft spanischer Monarchen über Portugal ein und beendete Portugals Stellung als maritime Grossmacht.
Nach der Unabhängigkeit Portugals von Spanien im Jahr 1640 ging es um die Wiederherstellung portugiesischer Souveränität in sämtlichen relevanten ökonomischen und militärischen Bereichen. Der militärische Wiederaufbau ist wesentlich von dem Herzog von Schomberg geleistet worden, der von 1660 bis 1668 in Lissabon tätig war. Unter seiner Führung konnten von spanischer Seite immer wieder unternommene Angriffe auf Portugal abgewehrt werden. Friedrich Hermann Herzog von Schomberg wurde schliesslich der Titel des Grafen von Mértola verliehen; in der Bevölkerung genoss er ein so grosses Ansehen, dass die zu den Heiligenprozessionen mitgeführten Figuren gekleidet waren wie der Herzog.
Grosses Ansehen erwarb sich ferner der preussische Offizier Wilhelm Graf von Schaumburg-Lippe-Bückeburg, der von 1762 bis 1767 in Portugal wirkte, weitreichende militärische Reformen durchsetzte und die spanisch-französische Invasion von 1762 verhinderte.
Eine der bedeutendsten deutschen Persönlichkeiten, die in Portugal wirkte, war König Ferdinand II. von Portugal. 1836 heiratete die portugiesische Königin
D. Maria II. Ferdinand Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha (1816 bis 1885), der sich fortan der Förderung der Künste und Wissenschaften in Portugal widmete. So gründete er die Königliche Akademie der Schönen Künste in Lissabon und betrieb die Restaurierung der Klöster von Batalha, Tomar und Jerónimos. König Ferdinand II. vergab zudem Stipendien an Künstler, so dass der portugiesische Pianist Vianna da Mota an dem Konservatorium in Berlin studieren und eine erfolgreiche künstlerische Laufbahn beginnen konnte. Die Ausführung des Baus des Pena-Schlosses bei Sintra übertrug er dem Baron von Eschwege, der im Jahre 1803 als Mineraloge nach Portugal gekommen war.
Es sind noch etliche weitere Persönlichkeiten deutscher Abstammung zu nennen, die in Lissabon lebten und für die Stadt als auch für Portugal bedeutend sind. Beispielsweise Alfredo Keil, der die portugiesische Nationalhymne komponierte. Keil, geboren 1854, war Sohn von Deutschen, die sich schon in Lissabon niedergelassen hatten. Seine Ausbildung zum Maler und Komponisten absolvierte er sowohl in Deutschland als auch in Portugal, wo 1890 die "Portuguesa" zum ersten Mal aufgeführt wurde. Alfredo Keil starb im Jahre 1907 und sein Grab befindet sich auf dem Lissabonner Friedhof dos Prazeres.
Ein entscheidender Grund dafür, dass sich Deutsche in Lissabon und Portugal überhaupt niedergelassen haben, ist mit Sicherheit auch in den insgesamt elf dynastischen Verbindungen zu sehen, die Deutsche auf den portugiesischen Thron brachten. Im Gefolge der Monarchen befanden sich jeweils Ärzte, Kaufleute, Offiziere und Künstler, wie zum Beispiel die Maler August Roquemont und Ludwig Katzenstein. Zum Teil wurde ihnen und ihren Familien Lissabon zur neuen Heimat. Noch heute leben "Katzensteins" in Lissabon. Einen beachtlichen Einfluss auf die politischen Geschicke Portugals im 19. Jahrhundert übte Ernesto Rodolfo Hintze Ribeiro (1848-1907) als mehrmaliger Minister , Rechts-professor und Parlamentsabgeordneter aus. Ursprünglich stammte die Familie aus Wismar, jedoch heiratete der Kaufmann Gabriel David Hintze 1797 eine Lissabonnerin, was zur endgültigen Niederlassung in Lissabon führte.
Aber nicht nur Lissabon bildete einen Anziehungspunkt für Deutsche in Portugal. Bekannt sind in Portugal noch heute die deutschstämmigen Familien der Burmester, Gilbert, Stüve aus Porto ebenso wie die Familie Kopke, die auf Christian Köpke (1693-1759), den Konsul der hanseatischen Städte in Porto zurückgeht und heute noch - wie die Familie Burmester- einer Portweingesellschaft den Namen gibt.
Der Erste Weltkrieg bedeutete für die in Lissabon lebenden Deutschen ab dem Kriegseintritt Portugals 1916 auf Seiten der Alliierten gegen das Deutsche Reich einen Bruch in der bisherigen erfolgreichen Integration. So wurden zum Beispiel das Heim des Deutschen Vereins in Lissabon und die Bibliothek während der Kriegsjahre konfisziert und etliche Deutsche wurden auf den Azoren interniert oder ausgewiesen und begaben sich nach Madrid (eine interessante Anmerkung bezüglich der von mir verwendeten Literatur ist zu dem 1944 erschienenen Buch "Oito Séculos de História Luso-Alemã" von E.A. Strasen und Alfredo Gândara zu machen: Es ist erstaunlich und nur im Rahmen des damaligen politischen Kontextes der NS-Diktatur verständlich, dass die Autoren dieses umfangreichen und interessanten Werkes mit keinem Wort die politische Beziehung zwischen Portugal und dem Deutschen Reich im I. und geschweige im II. Weltkrieg beschreiben. Hierin ist ein Beispiel für manipulierte und ideologisierte Geschichts-darstellung zu sehen).
Paul Wilhelm Gennrich beschrieb die Situation der Deutschen nach der Rückkehr nach Lissabon folgendermassen: "In den ersten Jahren nach dem Kriege kehrten die früher in Portugal ansässigen Deutschen nach und nach wieder aus der Verbannung zurück (...). Einige Familien, die sich vorher in wohlhabenden Verhältnissen befunden hatten, waren gänzlich verarmt (...). Hass und Hohn begegneten den Deutschen in der Welt. Das portugiesische Volk freilich, das niemals feindselig gegen die Deutschen eingestellt war, nahm jetzt, wenn man sich inzwischen auch gerne an dem Vermögen der Vertriebenen bereichert hatte, die Zurückkehrenden doch wieder mit Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft auf."
(Gennrich, Paul Wilhelm: Evangelium und Deutschtum in Portugal. Geschichte der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Lissabon, Berlin/Leipzig, 1936,
S.12f.). Die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts leiteten eine Normalisierung der Beziehungen der Portugiesen zu Deutschen und zwischen den beiden Staaten ein, wenngleich die politische Lage in Portugal geprägt war von zahlreichen Regierungswechseln und zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen politischen Gruppierungen, die versuchten, jeweils in ihrem Sinne Einfluss auf die am fünften Oktober 1910 ausgerufene Republik auszuüben.
Mit der Ernennung des Juristen und Wirtschaftswissenschaftlers der Universität von Coimbra António de Oliveira Salazar zum Präsidenten des Ministerrats im Jahre 1932 begann unter seiner Führung für die Dauer von 36 Jahren die Etablierung des "Estado Novo". Dieses autoritäre Regime, das am 25.April 1974 durch die Nelkenrevolution sein Ende fand, war ein System eigener Prägung, so dass es sich von den Diktaturen der übrigen europäischen Staaten unterschied. Patrick von zur Mühlen sieht diese Unterschiede in dem Fehlen eines portugiesischen Rassegedankens, der dominierenden Rolle der katholischen Kirche in Kultur und Sozialpolitik sowie in der eher konservativen politischen Zielsetzung des Erhalts des kolonialen Imperiums (Zur Mühlen, Patrick von: Fluchtweg Spanien-Portugal: die deutsche Emigration und der Exodus aus Europa 1933-1945, Bonn, 1992, S.120). Ebenso herrschte in Portugal kein offener Anitsemitismus; die portugiesische Regierung erreichte sogar die Ausreisebewilligung für im Dritten Reich lebende portugiesische Juden.
Portugal gehörte zu den wenigen neutralen europäischen Staaten während des Krieges, die Öffentlichkeit spaltete sich in jeweils deutsch- und englischfreundliche Teile und obwohl das Regime Demokratie, Liberalismus, Sozialismus und Kommunismus ablehnte sowie Gewerkschaften und Parteien unterdrückte, unterhielt es weiterhin traditionelle Kontakte zu Großbritannien. Das Königreich war seit 1373 Bündnispartner Portugals; der Zweite Weltkrieg bot keinen Grund, dieses Bündnis aufzulösen.
Patrick v.z. Mühlen führt weiter aus, Portugal habe auch korrekte Beziehungen zu Berlin unterhalten, Salazar habe in freundschaftlichem Verhältnis zum deutschen Gesandten Baron von Hoyningen-Huene gestanden. Allerdings seien portugiesische Presseattacken gegen das NS-Regime neben den mit dem Kriegsgeschehen verbundenen Fragen eine Belastung für das offizielle deutsch-portugieisische Verhältnis gewesen (Zur Mühlen, Patrick v., ebda., S.134).
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bedeutete einen schweren Rückschlag für das Leben der Deutschen in Lissabon, nicht nur was die Beziehungen zu den
Portugiesen anging, sondern er belastete auch die Beziehungen unter den Deutschen selbst.
Nach Hitlers Machtergreifung trat ein grosser Teil der Deutschen in Lissabon in die NSdAP ein. In einem Gespräch mit Prof. Dr. Bernardo Jerosch-Herold, Chemie-Professor und ehemaliger Vize-Rektor an der Technischen Universität Lissabon wurde klar, dass, wie in Deutschland auch, die Motive für einen Parteieintritt sehr unterschiedlicher Natur waren. Die einen berechneten pragmatisch die möglichen Vorteile, andere waren überzeugte Nationalsozialisten, eine nicht unbeträchtliche Anzahl übernahm die Rolle der Mitläufer. Deutsche jüdischen Glaubens und Nicht-Nazis ertrugen die Spannungen oder sahen sich mit Diskriminierungen konfrontiert.
Die ersten Spannungen machten sich in der seit dem Jahre 1761 bestehenden deutschen evangelischen Gemeinde bemerkbar. Die anlässlich der Einweihung des neuen Gotteshauses im Jahre 1934 bei dem seit 1932 in Lissabon ansässigen Maler und Bildhauer Hein Semke in Auftrag gegebene Gestaltung des Ehrenhofs durch die Skulptur "Kameradschaft des Untergangs" wurde von den Nationalsozialisten der deutschen Kolonie als "entartet" abgelehnt und zerstört. Ebenso wurden seine Skulpturen "Prophezeiung" und die "Pietà" von dem deutschen evangelischen Friedhof entfernt (Erhardt, Marion: Geschichte der deutsch-portugiesischen Kulturbeziehungen, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, Jahrg.44, Stuttgart, 1994, S.13-19, 18).
Überliefert aus dieser Zeit ist unter anderem noch der sogenannte "Beijinhos-Fall" (Küsschen-Fall), wie aus in der Ausgabe zum 150jährigen Bestehen der Deutschen Schule Lissabon berichteten Gesprächen und Briefwechseln hervor-geht:
Im Juni 1940 erteilte Lehrer Otto Caspritz der Schülerin Astrid von Loehr eine Rüge, weil sie ihre Gymnastiklehrerin Frau Schau mit den in Portugal üblichen "beijinhos" begrüsst hatte. Caspritz erklärte gegenüber der Schulleitung:
"Ich hielt es für meine Pflicht, Astrid auf das Undeutsche dieser Begrüssung aufmerksam zu machen. Ich nahm mir zu Beginn der folgenden Stunde Astrid allein vor und verbot ihr als BDM-Mädchen diese undeutsche Grussform."
Kollege Kurt Schüppel teilte diese Ansicht:
"Ich erkläre, dass ich die in Portugal übliche Begrüssungsform durch Personen, die nicht dem Verwandtenkreis angehören, für Angehörige der HJ nicht wünsche, weder Ausländerinnen noch Reichsdeutschen gegenüber, soweit sich diese Begrüssung innerhalb einer deutschen öffentlichen Gemeinschaft wie HJ, Schule, Deutscher Verein usw. abspielt, dass ich also das Verhalten mei-nes Stellvertreters im Prinzip absolut gutheisse (...) Ein Eingriff in den Erziehungsbereich der Eltern liegt meines Erachtens in keiner Weise vor; er kann höchstens von denen angenommen werden, denen heute noch unbekannt ist, dass es für die deutsche Jugend nach 1933 nur noch drei Erziehungsfaktoren gibt: Elternhaus, Schule und Hitlerjugend."
Der Direktor Dr. Diehm schrieb dazu an den Vater der Schülerin:
"Ich muss Ihnen erklären, dass ich, wenn ich den Vorfall beobachtet hätte, in meiner Eigenschaft als Schulleiter genauso gehandelt hätte, wie Pg. Caspritz in seiner Eigenschaft als Standortführer, da ich im Gegensatz zu Ihnen der Ansicht bin, dass wir allen Grund haben, Entdeutschungserscheinungen bei unseren Schülern im Keime zu ersticken (...) Sobald ein deutsches Kind diese Grussform anwendet, hat die Schule nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, dagegen einzuschreiten (...) Die Schule ist bei der Aufnahme neuer Schüler sehr vorsichtig. Dass wir Schüler, die nicht einwandfrei sind, von der Schule entfernen, habe ich Ihnen vor wenigen Tagen bewiesen, als ein Schüler, der für seine Mitschüler eine Gefahr bedeutete, auf meinen Antrag hin aus der Schule ausgewiesen wurde."
Der deutsche Botschafter in Lissabon Baron von Hoyningen-Huene beendete den Briefwechsel so:
"Mir gehen leider fast täglich Nachrichten von Vorfällen innerhalb der (deutschen) Kolonie zu, zu denen ich natürlich keinerlei Stellung nehme, die mich aber selbstverständlich interessieren müssen (...) Im vorliegenden Fall glaube ich allerdings nicht, dass Sie sich nur wegen des in Ihrem Brief geschilderten Vorfalles die Mühe des Weges (zu mir) machen sollten."
(Vorstand des Deutschen Schulvereins Lissabon, Deutsche Schule Lissabon, Hrsg.: "1848-1998 Deutsche Schule Lissabon-Escola Alemã de Lisboa"; Lissabon, 1998, S.72)
Als brisant erwies sich aber weiter die Tatsache, dass Lissabon seit der Machtergreifung Hitlers immer stärker zum Ziel politischer Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland oder den besetzten Gebieten wurde, so dass auf der einen Seite die eingesessene, zum Teil nationalsozialistisch gesinnte, deutsche Kolonie, die deutsche Gesandtschaft und auf der anderen die Emigranten mit ihren Biographien der Verfolgung und Flucht standen.
Auf dem Weg nach Amerika war Lissabon Durchgangsstation für etliche Fliehende vor dem NS-Regime, wie zum Beispiel für Franz Werfel, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Erzherzog Otto von Habsburg, Stephan Zweig und Alfred Döblin, der seine Eindrücke von Lissabon zu jener Zeit in seinem autobiographischen Bericht "Schicksalreise" niederschrieb.
Wenige Flüchtlinge blieben in Lissabon und noch weniger fanden nach ihrer Flucht aus Deutschland eine neue Heimat in Lissabon und Portugal.
Der expressionistische Maler Max Braumann zum Beispiel emigrierte 1934 nach Portugal. Im Jahr 1935 holte er seine Familie aus Deutschland nach Lissabon, wo er die Künstlertätigkeit wieder aufnahm und auf zahlreichen Ausstellungen vertreten war.
Portugal war gemäß dem Bretton Woods-Abkommen aus dem Jahre 1944 verpflichtet, nach Kriegsende sämtliches deutsches Vermögen zu konfiszieren, so war die Nachkriegszeit durch die nur langsame Wiederaufnahme der portugiesisch-deutschen Beziehungen bestimmt und die in Lissabon ansässigen deutschen Institutionen, die Ausdruck zum Teil Jahrhunderte währender Integration der Deutschen in Lissabon sind, konnten dann ihren jeweiligen Zweck weiter erfüllen:
Die Deutsche Schule Lissabon nahm 1952 ihren regulären Lehrbetrieb wieder auf. Die evangelische Kirchengemeinde in Lissabon gründete im Jahre 1848 zunächst eine Knabenschule, die, wie auch ein Kirchenneubau zu einem beträchtlichen Teil von Spenden an die Gemeinde, so unter anderem von den Hansestädten, dem König von Preussen, und dem russischen Zaren, finanziert wurde. Die Geschichte der Schule spiegelt, ohne nun auf Einzelheiten einzugehen, auf vielfältige Weise in Ansätzen den jeweilige kulturellen, politischen, wirtschaftlichen, auch den religösen Kontext wider, in dem sich die Deutschen in Lissabon befanden, wenn man die Tatsachen bedenkt, dass Portugal im Gegensatz zu Deutschland auf eine jahrundertelange Staatstradition zurückblickt, Portugal im Gegensatz zu Deutschland geographisch am Rande Europas liegt und lange Zeit stärker seinen Kolonien zugewandt war als dem eigenen Kontinent, dass über neunzig Prozent der Bevölkerung im Gegensatz zur "deutschen Kolonie" in Lissabon katholisch ist, dass Portugal nun einmal "südeuropäisch" ist, was immer man an Klischees und Wahrheiten mit dieser Charkterisierung verbinden mag.
Die Deutsche Schule ist in Portugal heute eine anerkannte Institution und erfüllt ihre Aufgabe einer deutsch-portugiesische Begegnungsstätte.
Einen Beitrag zur weiteren Integration leistete auch der vor der Konstituierung des Deutschen Reiches- im Jahre 1870 gegründete Deutsche Verein in Lissabon, der, wie Monika Wittmer in einem Gespräch hervorhob, zwei Ziele verfolge. Der Verein wolle "Anlaufstelle" für deutsche oder deutschsprachige Neuankömmlinge in Lissabon sein und zum anderen Hilfe bieten, sich in Lissabon nicht nur auf bürokratischem, sondern auch kulturellem Gebiet zurechtzufinden.
Die Satzung des Vereins aus dem Jahre 1934 sah den Zweck des Vereins darin, die deutsche Kultur zu pflegen, den geselligen Verkehr zu fördern und allen Deutschen Hort und Heimat zu sein. Heute wird auch Wert darauf gelegt, eine Begegnungsstätte zwischen Deutschen und an der deutschen Kultur interessierten Portugiesen zu sein. Jedoch wies Monika Wittmer darauf hin, dass aufgrund der kurzen Flugdauer von zwei Stunden der Reise von Lissabon nach Deutschland, aufgrund der modernen Kommunikations- und Informationsnetze die Notwendigkeit oder das Bedürfnis von gemeinschaftlichen Veranstaltungen im Rahmen des Vereins geringer geworden sei. Ungünstig wirke sich zudem die Tatsache aus, dass gegenwärtig kein Clubheim zur Verfügung stehe, dennoch würden noch verschieden Veranstaltungen durchgeführt wie z.B. Ausflüge und das traditionelle Martinsgans-Essen.
Dass die deutschen christlichen Gemeinden, die Deutsche Evangelische Kirchengemeinde in Lissabon und die Katholische Deutsche Seelsorge in Lissabon ihren Beitrag zur Integration geleistet haben und leisten, muss nicht explizit und detailliert hervorgehoben werden, erinnert sei nur an die wichtige Rolle der Evangelischen Kirchengemeinde bei der Gründung der Deutschen Schule sowie an die Bedeutung der Bartholomäus-Brüderschaft, insbesondere in den ersten Jahrhunderten der deutschen Ansiedlung in Lissabon. Nicht zuletzt ist auch die Errichtung des Deutschen Friedhofs mit Hilfe in Lissabon lebender deutscher Christen möglich geworden. Der Friedhof, der am 25.Januar 1822 eingeweiht wurde, steht im Eigentum der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Lissabon. Beigesetzt werden auf dem Friedhof alle Deutschen ungeachtet ihrer Konfessionszugehörigkeit, die bei ihrem Tod in Lissabon oder Umgebung ihren Wohnsitz oder Aufenthalt hatten.
Um die Unterstützung in Portugal ansässiger Wirtschaftsunternehmen ist seit 1954 die Deutsch-Portugiesische Handelskammer bemüht. Firmen wie Grundig, Siemens, Bosch, Volkswagen und viele andere mittlere und kleine Unternehmen, wie die schon seit 1895 bestehende Industrieartikelfirma Sociedade Zickermann, entfalten gegenwärtig in Portugal wirtschaftliche Tätigkeit, die insbesondere nach dem Beitritt Portugals zu der Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1986 eine Intensivierung erfuhr.
Deutschland ist in Portugal der bezüglich industriellen Investitionen einer der stärksten Investoren. Die detaillierte Betrachtung der ökonomischen Beziehungen zwischen Portugal muss aber einer eigenen wirtschaftsgeschichtlichen Darstellung vorbehalten bleiben.
Erwähnenswert im Kontext von Integration erscheint mir über den Themenkomplex der Geschichte der Deutschen in Lissabon hinaus auch das Kultuzentrum São Lourenço bei Almancil im Algarve in Südportugal. Aufgebaut wurde dieses Kulturzentrum 1980 von Marie und Volker Huber. Dort fanden schon Ausstellungen deutscher und portugiesischer Künstler wie José de Guimarães, Günter Grass, Tapiès u.a. statt.
Die Situation der Nachkriegszeit und der Gegenwart der portugiesisch-deutschen Beziehung, im Besonderen der insgesamt 8.000 in der Botschaft registrierten Deutschen in Lissabon, ist also - hoffentlich klingt das nicht zu simpel und vielleicht naiv - friedvoll.
III.
Ist es nicht gerechtfertigt von einer gelungenen Integration der Deutschen in Lissabon zu sprechen ? Ich glaube, dass vieles dafür spricht. Die von Schaal entwickelten Bedingungen (s.o. I.) für eine Integration sind erfüllt. Aber noch wichtiger ist: Die in Lissabon lebenden Deutschen selbst sehen sich als integriert an, wenn auch der Alltag manche Schwierigkeiten bergen mag.
Gerhart Schickert, Volkswirt und Politologe, Mitglied im Kirchenvorstand der deutschen Evangelischen Gemeinde in Lissabon spricht ebenfalls von einer gelungenen Integration der Deutschen in Lissabon. Geboren 1939 lebte er bereits zwischen 1948 und 1956 in Portugal, nach Aufenthalten u.a. in Lateinamerika, Afrika und Europa, lebt er seit 1987 wieder in Lissabon. Seine Literaturhinweise, Kenntnisse und persönlichen Kontakte ergeben in der Tat das Bild einer intensiven Verwurzelung Deutscher in Lissabon - auch in der Gegenwart- und darüber hinaus in Portugal, sei es in Porto, auf Madeira, den Azoren oder im südportugiesischen Faro. Dies alles auszuwerten wäre ein sehr interessantes, diesen Rah-men leider sprengendes Projekt.
Die Geschichte der Deutschen in Lissabon ist im Grunde genommen die Geschichte europäischer Bürger in Europa, die in ihrem Kern also eine erfolgreiche Integration enthält.
Wie ist diese spezielle europäische Integrationsleistung der Deutschen in Lissabon im gegenwärtigen europäischen Kontext zu betrachten, insbesondere unter Berücksichtigung der in der Präambel des Vertrages über die Europäische Union (EUV) formulierten Entschlossenheit, den mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeleiteten Prozess der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben ?
Diese Integration soll nach dem Willen der die EU bildenden Staaten möglichst viele Bereiche menschlichen und staatlichen Handelns erfassen. So zum Beispiel nach Artikel 2 EUV auf den Gebieten der Wirtschaft, der Aussenpolitik, und hinsichtlich der Frage einer Unionsbürgerschaft.
Dieser materielle Integrationsprozess wird begleitet von einem ideellen Integrationsprozess, der natürlich auch auf einem Harmonisierungsgedanken beruht.
In der Präambel zum EUV sind die Gegenstände einer ideellen Integration in Form eines Bekenntnisses zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit benannt. Herausragend in seiner Bedeutung ist jedoch meiner Ansicht nach Artikel 151 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV). Hiernach leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.
Die europäische Identität wird also dialektisch aus Vielfalt und Einheit definiert
(Häberle, Peter: "Europäische Rechtskultur", Baden-Baden, 1994, S.26). Meiner Ansicht nach ist dies einer der zentralen Inhalte des Integrationsprojektes der Europäischen Union hinsichtlich des Verständnisses von Integration. Demzufolge bedeutet Integration nicht Infiltration, wenngleich zu berücksichtigen ist, dass bei bestehenden Gemeinsamkeiten die Gefahr von Infiltration erheblich geringer ist als bei Nichtbestehen von Übereinstimmungen.
Der Grund für die Wichtigkeit dieser Regelung von Achtung kultureller Identität liegt in der grossen Reichweite dieses Begriffs, der auch das Recht mit einbezieht. Rechtsordnungen sind gewachsene Kultur, in ihren Glanzleistungen wie der Verfassungsstaatselemente (Menschenrechte, Demokratie, sozialer Rechtsstaat, Gewaltenteilung) eine kulturelle Errungenschaft par excellence
(Häberle, Peter, ebda., S.17). Wenn es um Rechtsordnungen in ihrer verfassungsrechtlichen Essenz geht, ist jedoch die kulturelle Identität im Sinne des gemeinsamen kulturellen Erbes gemeint: Artikel 6 Absatz 1 EUV stellt fest, dass die Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit beruht und diese Grundsätze allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind.
Der Integrationsprozess möchte also vor einer Einebnung der neben den Gemeinsamkeiten existenten kulturellen Unterschiede ausdrücklich schützen durch die von allen gemeinsam einzuhaltende Voraussetzung der Achtung der Vielfalt, auch der nationalen Vielfalt, wenn Artikel 6 Ab-satz 3 EUV besagt, dass die Union die nationale Identität achtet.
Nationale und kulturelle, also auch rechtskulturelle Unterschiede bewirken zum Teil langwierige und intensive Diskussionen bezüglich der Gestaltung einer grösseren Europäischen Union. Während deutsche Politiker die Verteilung der Kompetenzen innerhalb der EU nach föderalistischen Grundsätzen empfehlen, stösst allein der Begriff des Föderalismus in anderen Mitgliedstaaten auf Skepsis. Diese skeptische Haltung war auch auf dem von mir in der Zeit meines Lissabonaufenthalts besuchten "Cur-so de Direito Comunitário e da Integração"
(Kurs im Europa- und Integrationsrecht) an der Juristischen Fakultät der Universität Lissabon zu bemerken. Föderalismus wurde von einigen Referenten und Kursteilnehmern in seinen Konsequenzen mit grundsätzlichem Souveränitäsverzicht und einer "Bundeslandisierung", insbesondere kleinerer Staaten in der EU gleichgesetzt. Der hier zutage tretende Gegensatz zentralistisch und föderalistisch verfasster Staaten ist Ausdruck der oben bezeichneten europäischen kulturellen Dialektik und des primären Bestehens Europas als Geschichts- und Kulturbegriff, wie Joseph Cardinal Ratzinger feststellt (Vortrag in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin "Europa. Seine geistigen Grundlagen gestern, heute, morgen.", gehalten am 28.November 2000). Er zeichnet die Entwicklung des Begriffs und weist die Einflüsse auf die Herausbildung Europas nach durch die griechische Antike, das Römische Reich, dessen Teilung, die Einflüsse durch das Reich Karls des Grossen, durch die geistige Nachfolge Moskaus in das gefallene Ostrom bzw. Konstantinopel, die Zeit der Reformation, die Französische Revolution, den Kolonialismus.
Klar ist in diesem Zusammenhang, dass sich der Europabegriff nicht auf die Mitgliedstaaten der EU beschränkt, sondern dass das gemeinsame europäische kulturelle Erbe auch von "Nicht-EU-Mitgliedern" geschaffen worden ist und getragen wird.
Im Grunde genommen enthält die europäische (rechts-) kulturelle Identität dann auch die Idee des Menschen als handlungs- und entscheidungsfreies Individuum, was als Konsequenz die in Artikel 18 EGV geregelte Freizügigkeit bedeutet, so dass jeder Unionsbürger das Recht hat, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in dem EGV oder in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
Die Idee einer Unionsbürgerschaft als in Artikel 17 EGV konkretisierte Idee einer europäischen Bürgerschaft ist Ausdruck der dialektischen Definition Europas. So wird die Unionsbürgerschaft nur über die Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedsstaat der EU vermittelt. Die Nationalstaaten bilden also immer noch einen Fixpunkt im Rahmen europäischer kultureller Identität, so dass die Idee der Unionsbürgerschaft oder weiter das Verständnis von der Existenz einer europäischen Bürgerschaft aufgrund des Europabegriffs (s.o.) - abgesehen von den hierfür dann zu definierenden konkreten Rechte und Pflichten - zumindest eine Plattform für lediglich menschliche Begegnung, Integration sein kann. Diese Begegnung offenbart dann die verschiedenen Aspekte eines gemeinsamen europäischen Erbes, das es in seiner Vielfalt kennenzulernen und zu erhalten lohnt..
Die Geschichte der Deutschen in Lissabon stellt somit ein Beispiel europäischer Integration dar im Wege praktisch gelebter europäischer Bür-gerschaft jeweils im entsprechenden zeitlichen Zusammenhang - in der Gegenwart erleichtert durch die in der Unionsbürgerschaft verbürgten Kommunalwahl-, Petitions- und diplomatischen Schutzrechte.
So steht in der Gegenwart das Individuum mit seiner Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit als (rechts-) kulturelle europäische Errungenschaft und europäisches Identitätsmerkmal im Mittelpunkt des ideellen Integrationsprozesses, was u.a. am Beispiel der Verfassung einer europäischen Grundrechte-Charta gezeigt werden kann.
Notwendigerweise verknüpft hiermit ist das Erfordernis der Achtung kultureller Identität, die wie die Geschichte der Deutschen in Lissabon in ihren Grundzügen zeigt, auch schon vor der vertraglichen Kodifizierung von heute ein Prinzip war, das Integration begünstigte und zum Erfolg führte.
Vielleicht können die Prinzipien europäischer Integration auch im Umgang mit dem Phänomen der sogenannten Globalisierung weiterhelfen. Dies wäre jedoch ein anderes weites Themenfeld.
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Portugal-Post Nr. 26 / 2004
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Grabstein auf dem deutschen Evangelischen Friedhof in Lissabon
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Deutsche Botschaft und Goethe-Institut im Campo dos Mártires da Pátria
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Der deutsche Evangelische Friedhof in der Rua do Patrocínio
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Eingang zur deutsche Katholischen Kirche Nossa Senhora das Dores in der Rua do Patrocínio
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