Von Lissabon nach Santiago de Compostela
Tagebucheintrag 23. Mai 2007
Mein erster richtiger Wandertag! Pünktlich um 06:00 Uhr stand ich auf der Straße. Es hat lange gedauert, bis ich das Expo-Gelände erreichte. Dort angekommen (anscheinend ein beliebter Ort für Früh-Jogger, Nordic Walker und Spaziergänger), wusste ich auf einmal nicht richtig wie weiter - keine Beschreibung, keine Zeichen, keine gelben Pfeile. So entschloss ich mich, erstmal ein Frühstück einzunehmen. Danach würde sich sicherlich vieles lösen... und siehe da! So geschah es auch. Ich entschloss mich, mich auf meinen Instinkt und meinen Orientierungssinn zu verlassen (dass Frauen keinen Orientierungssinn hätten, ist eine unfaire Verallgemeinerung). Ich bin übrigens erstaunt, dass alle die vielen, vielen Cafés und Restaurants aus der Expo-Zeit (1998) noch immer da sind. Ich ging den Tejo aufwärts das ganze Gelände entlang, unter der längsten Hängebrücke Europas (Ponte Vasco da Gama) und noch ein gutes Stück weiter. Bald sah ich das erste Kennzeichen für den Caminho de Fátima (auch Caminho do Tejo genannt). Der Ausgang aus Lissabon war hübscher als ich erwartet hatte. Anstatt unendlich vieler hässlicher Vorstadt-Hochhäuser, befand ich mich ziemlich bald auf einem kleinen Weg durch duftende Blumenfelder. Heute Vormittag traf ich die ersten (bis jetzt die einzigen) zwei Pilger. Sie sind aus Belgien und gehen ebenfalls nach Santiago (der eine zum 6. Mal, der andere zum 10. Mal - Pilgern macht süchtig!).
Es gibt Engel in Menschengestalt! Ich traf sie in Alhandra, der nettesten kleinen Stadt, die man sich vorstellen kann. Es ist sehr charmant und die Menschen sind auffallend freundlich und gelassen. Auch untereinander spürt man eine große Hilfsbereitschaft. Die zwei Engel waren Apothekerinnen. Ich hatte schon die erste Blase am Fuß und ging in die Apotheke rein, um eine kleine Nadel zu kaufen. Statt einer bloßen Nadel, gaben sie mir ein Fußbad, eine Fußmassage und alle möglichen Crèmes für Füße und Gesicht (gratis!). Außerdem gaben sie mir noch sehr nützliche Tipps für die Fußpflege (die eine Dame war schon zweimal nach Fátima gelaufen): kein Babypuder (macht trocken, obwohl es sich seidig anfühlt) und keine Vaseline (ist so fettig, dass es die Füße nicht atmen lässt), sondern immer nur regelmäßig mit einer guten Fußcreme einreiben, nur mit Socken laufen und diese auf links anziehen, und regelmäßig ausziehen. Blasen soll man mit der Nadel aufmachen, mit einem Nähfaden durchziehen (das hatte ich schon früher gehört, schenkte dem aber keine Beachtung), desinfizieren und so lassen. Außerdem habe ich meinen Rucksack voll mit Compeed.
Beglückt ging ich weiter nach Vila Franca de Xira (gegründet durch französische Kreuzfahrer). Hier bin ich jetzt, und übernachte in einer nach indischem Weihrauch riechenden Pension (18 Euro) im Kolonialstil. Im 19. Jh. war es ein Luxushotel für "bessere Leute". Als ich vorhin in einem Obst- und Gemüseladen war, sagte mir die Verkäuferin, dass ich morgen die gewöhnliche Strasse entlang gehen solle. Die andere Strecke sei zu gefährlich. Da so viele entsetzt und ängstlich reagieren, wenn sie hören, dass ich alleine gehe, nahm ich ihren Hinweis auf die Gefährlichkeit zuerst nicht ernst. Als ich aber hörte, warum es gefährlich sei, wurde mir gleich anders zumute: frei laufende Bullen! (In Vila Franca gibt es eine sehr alte Stierkampf-Arena). Autos oder Bullen? Was soll ich wählen? Ich wähle das Risiko, einem Bullen zu begegnen.
Laut Buch bin ich heute 35 Km gelaufen sein. Habe jedoch das Gefühl, dass es mehr sein müssten.
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