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Christuskult auf den Azoren
Rezension zu Ralph Roger Glöcklers Erzählung "Madre"

Von Ferdinand Blume-Werry

Bis in unsere Tage ist die 1541 fertiggestellte Klosteranlage Convento da Esperança in Ponta Delgada auf der Azoreninsel São Miguel noch mit Leben erfüllt. Zu dem Nonnenkloster gehört die Igreja da Nossa Senhora da Esperança, welche auch die Jesusbüste des Senhor Santo Cristo dos Milagres beherbergt. Seit mehr als drei Jahrhunderten gibt es einen Kult um diese Büste, der alljährlich am fünften Sonntag nach Ostern mit der größten Prozession auf portugiesischem Boden seinen Höhepunkt erreicht. Die erste offiziell genehmigte Prozession fand im Jahr 1700 statt, 38 Jahre vor dem Tod der Nonne Teresa da Anunciada, die als Begründerin des Kultes gilt. Ihre Beziehung zum Senhor Santo Cristo, aber auch ihr Wunderwirken waren bereits kurz nach ihrem Tod Anlass für die Inquisition geworden, einen Prozess zu eröffnen, um festzustellen, ob ihr Wirken göttlichen oder vielleicht doch teuflischen Ursprungs war.

Für sein neues Buch unterzog sich Ralph Roger Glöckler nicht nur dem Studium der in der Diözese befindlichen Akten zu dem damaligen Inquisitionsprozess, sondern las vor allem auch die autobiografischen Schriften der Nonne Teresa, die in einer Abschrift im Kloster aufbewahrt werden. Herausgekommen ist eine höchst beachtenswerte Ich-Erzählung, die auf 170 Seiten aus der Sicht der sterbenden Teresa da Anunciada einen Bewusstseinsstrom während ihres Todeskampfes wiedergibt, dessen Innensicht zugleich Licht wirft auf diesen durch sie initiierten Kult; eignen sich doch gerade die Stunden des Sterbens, um Erinnerungsbilder, die bis in die Kindheit zurückreichen, mit Visionen zu verbinden, die in die Zukunft hineinreichen. Kunstvoll, wenngleich nicht immer einfach zu lesen, gelingt es dem Autor, durch die Verschachtelung zahlreicher Facetten und zeitlicher Ebenen genau das zwischen den Zeilen aufscheinen zu lassen, was das Buch - auch unabhängig von den konkreten Inhalten des speziellen Kultes um die Jesusbüste in Ponta Delgada - lesenswert macht: nämlich einerseits religiöse Besessenheit nicht von außen zu erfahren, sondern aus der Sicht des Besessenen selbst, und andererseits den möglichen Ursachen dafür nachzuspüren. Denn auch darüber erfährt, wer aufmerksam liest, zumindest einen wesentlichen Aspekt.

Wer kennt nicht die "Heilige Allianz", welche die Nonnen in der katholischen Kirche durch ihr Verlöbnis mit Jesus Christus zum Ausdruck bringen, indem sie einen Brautring (portug. aliança) tragen. Auch Madre Teresa war eine dieser Bräute Christi, die auf die Ehe verzichteten, um ihr Leben der Andacht an Christus zu widmen. Schon auf den ersten Buchseiten wird deutlich, wie sehr die spätere Nonne darunter leidet, als Brás, einer ihrer Brüder, versucht, die Mutter davon zu überzeugen, Teresa mit einem jungen Mann zu verheiraten, "den ich nicht kenne, den ich gar nicht kennen will, weil kein irdischer Gatte meinen Ansprüchen genügen wird, ..., will meine wahre Liebe leben, die himmlisch reine, vollendete ..." (S.29). Die Mutter selbst hatte - nach dem frühen Tod des Vaters, der noch vor Teresas Geburt verstarb - mit Teresa und ihren zwölf älteren Geschwistern zu Rande zu kommen. Letztlich ist sie mit verantwortlich für die Neigung des jüngsten Kindes, ein klösterliches dem weltlichen Leben vorzuziehen. Teresa tritt kurz vor ihrem 23. Lebensjahr ins Kloster ein.

Aus den abendlichen Gebeten, welche die Mutter am Bett von Teresa und ihrer wenig älteren Schwester Joana spricht, wird die ganze Abneigung gegenüber körperlich-sexueller Liebe ablesbar, und, im Gegenzug, die Transformation von Sexualität in eine religiöse Liebe, in die Verehrung des Senhor Santo Cristo, der selbst, und für die Kinder vernehmbar, in sexuelle Phantasien einbezogen wird. Insofern mag es als Ironie des Schicksals anzusehen sein, wenn sich Ausgangs- und Endpunkt, frühe Erinnerung und letzte Vision während des Todeskampfes der Nonne Teresa gleichen. So wie sie ihren Bruder Brás hasst, "diesen feisten, in enge Wämser gekleideten Kerl" (S.40), so sehr irritiert ist sie über die Bilder, die sie im letzten Abschnitt des Buches in einer in die heutige Zeit hineinreichenden Vision wahrnimmt von "um mich stehenden Menschen, rauchende, in enge, den Körper betonende Hosen, kurze Jacken gekleidete." (S.160). Aus diesen Bildern spricht Körperfeindlichkeit, die zugleich einen Schwachpunkt allen mönchischen Lebens offenbart. Unversöhnlich bleiben die Gegensätze zwischen sexueller Leidenschaft und Moral, werden zum Hindernis auf dem Weg zur Verwirklichung des Heils. Der in einer imposanten Bilderflut geschilderte Todeskampf der Nonne Teresa da Anunciada wird zum Zeugnis der Zerrissenheit, nicht nur für die Nonne selbst, sondern für die gesamte katholische Kirche, die bis heute in der Frage der Sexualität versagt und in Bigotterie verharrt. Insofern darf das Buch auch als harsche Kritik an der Kirche angesehen werden.

Es bleibt zu wünschen, dass rechtzeitig zum 350. Geburtstag der Madre Teresa am 25. November des kommenden Jahres das Buch ins Portugiesische übersetzt wird und der Autor bald seinen dritten Band der Azoren-Trilogie vorlegt. Dem Elfenbein-Verlag, der bereits den ersten Band der Trilogie, "Corvo - Eine Azoren-Utopie" herausgebracht hat, ist zu danken für dieses mutige Projekt. Seine Affinität zu Portugal und zur portugiesischen Literatur dürfte inzwischen hinreichend bekannt sein und kann nicht hoch genug geschätzt werden.







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Portugal-Post Nr. 40 / 2007


Ralph Roger Glöckler
Madre, Erzählung
Elfenbein Verlag 2007
176 Seiten, EUR 19,00