Von Lissabon nach Santiago de Compostela
Tagebucheintrag 30. Mai 2007
In Ansião treffen sich die Fátimapilger (so wie ich) und diejenigen die über Tomar (Ritterstadt - hätte ich gerne gesehen) gegangen sind. Pfeile sehe ich aber nirgendwo. Die sehe ich schon seit gestern Nachmittag nicht mehr. Entweder gab es keine (und man sollte den normalen Ortsschildern folgen) oder ich hatte eine Abbiegung "verträumt".
Ansião zu verlassen, ist gar nicht so einfach (Auf die Karte ist kein Verlass, weil sie nicht detailliert genug ist.). Es gibt drei Straßen. Ich möchte nach Norden. Orientiere mich nach dem Sonnenstand. Aber die Nordstrasse zeigt Zugang verboten für Fußgänger und langsame Fahrzeuge. Es scheint bloß der Zubringer für die Schnellstraße zu sein. Ich entschließe mich für die Straße in nordwestlicher Richtung. Sie biegt aber beunruhigend weit nach Westen ab. Nach einiger Zeit kommt ein Traktor. Ich halte ihn an. Es war der falsche Weg. Obwohl ich mir selber versprochen hatte, kein einziges Fahrzeug zu benutzen, hüpfe ich auf den Traktor und fahre mit dem alten Bauer zurück nach Ansião (Ich fahre ja bloß zurück, komme also nicht dadurch weiter, also ist es gestattet, sage ich meinem Gewissen.). Es ist doch die Nordstrasse. Man hatte das Verbotschild zu früh platziert. Folge keinen Pfeilen! Egal. Ich weiß, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
An einer Kreuzung sehe ich plötzlich einen gelben Pfeil, der in Richtung des kleinen Dorfes Santiago da Guarda zeigt. Ist das ein Jakobspfeil? Ich höre, wie ein Mann an der Tankstelle zum anderen sagt: "Die hat sich verirrt." Da stehe ich nun und überlege, was ich nun tun soll. Dem Pfeil glauben oder weiterhin der sicheren, aber wenig angenehmen Estrada Nacional folgen? "Nein, ich habe mich nicht verirrt!", antworte ich. "Ich bin auf dem richtigen Weg!" Ich entschließe mich für Santiago da Guarda. Meine Karte zeigt, dass es zwar ein Umweg, aber der hübschere Weg ist. (Die Umwege im Leben, sind auch meistens die hübscheren.) Und siehe da! Noch ein gelber Pfeil! Back on track! Jetzt folge ich wieder der Jakobsroute!
Vor mir öffnet sich ein Dorfplatz. Drei Wege kommen in Frage. Meine Augen scannen den Platz. Bäume, Bürgersteigkante, Pfosten, Ecken... Alles wird in Sekundenschnelle nach gelben Pfeilen abgecheckt. Da! Hab' sie gefunden. Weiß wieder, wie es weitergeht. Vorerst werde ich aber in dem netten Dorfcafé frühstücken. Schon auf der letzten Wanderung, stellte ich mir selber die Regel, erst zu frühstücken, wenn ich mindestens 10 Km gelaufen sei. Bin schon zwei Stunden gelaufen, müsste also ungefähr hinkommen.
Ich laufe weiter. Ich laufe über wunderschöne Feldwege. Mein Gott! muss das ein lustiges Bild sein, würde mich einer jetzt sehen: Mädchen mit Strohhut, läuft alleine durch die Gegend, spricht und lacht, als ginge jemand neben ihr. Der Gedanke bringt mich noch mehr zum Lachen. Auf der Erde sehe ich sehr viele Jagdpatronen. Gut, dass es keine Jagdsaison ist! In dem Fall hätte ich besonders laut gesungen, um auf mich aufmerksam zu machen.
Methodenverbesserung: laufe jetzt mit Papier und Kugelschreiber in der Hosentasche. Es fängt an zu regnen. Meinen Regenponcho habe ich schnell aus der Tasche gezogen, weil er absichtlich zuoberst lag. Mit dem Gepäck unten drunter, sehe ich jetzt aus wie ein Schneckenhäuschen. Zwar schützt der Poncho vor Regen, macht mir aber das Gehen schwerer, weil er überall hängen bleibt. Es kommt noch schlimmer, denn plötzlich tut sich vor mir eine Mauer von wildem Dornengestrüpp auf. Der Weg ist kaum zu erkennen. Ich ziehe den Poncho aus und kämpfe mich durch. Ich komme mir dabei vor wie der Prinz im Dornröschen-Märchen, der sich durch eine fast unüberwindbare Mauer von wilden Rosen durchkämpft, um an das verborgene Schloss zu gelangen. Der Pilgerstock ist mein Schwert. Mal ganz ehrlich! Entweder gehen die Pilger einen anderen Weg oder es gehen einfach nicht viele. Wie ist dieser fast undurchlässige Weg sonst zu erklären?
Es hat aufgehört zu regnen. Komme nach Rabaçal (2/3 meiner Tagesstrecke). Hmmm... Es riecht nach Grill. Es kommt von dem Restaurant O Bonito (Der Hübsche). Unter dem Halbdach werden Hähnchen gegrillt. Ein unwiderstehlicher Anblick. Ich bitte darum, draußen sitzen zu dürfen, damit ich ohne Bedenken barfuß sitzen kann. Während ich esse, schaue ich immer ein wenig unsicher zum Himmel hoch. Kirchenglocken vom Tonband läuten die Uhrzeit. Es folgt darauf das Ave Maria, das unter der Lichterprozession in Fátima gesungen wird. Seit Fátima habe ich immer dieses Lied spielen hören. Einer der Männer des Ortes setzt sich zu mir. Er wirkt nicht aufdringlich. Wir reden hauptsächlich über Einwanderung, Rassismus und Vielfältigkeit. Er scheint ein sehr offenes und weites Weltbild zu haben. Eigentlich ist er sympathisch, dennoch gefällt mir etwas an seinem Blick nicht. Als er erzählt, dass er Witwer sei, gehe ich nicht darauf ein. Versuche auf neutraler Ebene zu bleiben, freundlich aber distanziert und auf keinen Fall verunsichert. Das Hähnchen und der Reis waren außergewöhnlich gut. Bevor ich gehe, creme ich meine Füße ein und bandagiere sie. Währenddessen kommt ein alter Mann mit Stock vorbei und lacht. Die anderen anwesenden alten Männer, die gerade über den letzten Dorfklatsch reden, erzählen mir dann, dass er früher Krankenpfleger war. Warum lacht er? Mache ich es vielleicht falsch oder freut er sich nur über frühere Zeiten?
Die Natur ist wunderschön! Fast den ganzen Tag bin ich nur über Felder, durch Wälder und durch kleine Dörfer gelaufen. Immer wieder treffe ich auf sehr nette, meistens ältere Leute, mit denen ich ein paar Worte wechsle, die mir etwas zum Essen schenken wollen oder meine Wasserflasche auffüllen. Ich laufe mit einer 1½ Liter Flasche. Der Stock in der einen Hand, die Flasche in der anderen (man trinkt selten genug, wenn man dafür immer anhalten und den Rucksack abnehmen muss - genial sind natürlich die Wasserbehälter in der Tasche mit Schlauch). Die Schwere der Flasche fordert zusätzlich zum Trinken auf, damit sie leichter wird. Meine Schuhe sind von dem nassen Gras total durchnässt! Die werden zum Trocknen wohl die nächsten zwei Tage an meinem Rucksack hängen müssen. In Condeixa kann man nicht bei der Feuerwehr übernachten. Ich übernachte in einem sehr alten Residencial. Auf meine Frage, wie viel ein Zimmer kostete, mustert mich der ältere Herr und sagt 15 Euro. Prima!
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