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Von Lissabon nach Santiago de Compostela
Tagebucheintrag 26. Mai 2007

Habe Santarém verlassen. Das erste Mal, dass ich diese wunderschöne Stadt gesehen habe. Man spürt ihre alte Geschichte. Sie ist sehr harmonisch und wirkt auch etwas feiner als andere Städte. Bemerkenswert sind die vielen Kirchen. Hier trennen sich die Wege der Pilger, die nach Fátima gehen und derjenigen, die nach Santiago über Tomar gehen. Ich verlasse die Stadt von der westlichen Seite mit dem Wunsch, sie unbedingt wieder besuchen zu wollen und besser kennen zu lernen.

Bald begegne ich auf der Strasse einem Obst- und Gemüsehändler. Er schenkt mir eine Tüte mit sehr wohlschmeckenden Kirschen, frischen Aprikosen und Erdbeeren. Besorgt um meine Sicherheit rät er mir dazu, die Estrada Nacional entlang zu laufen (eigentlich unlogisch, denn weniger gefährlich ist es nicht). Der andere Weg sei zu einsam, sagt er. Aber gerade das suche ich ja. Ich bin gerührt wie viele nette Menschen ich auf meinem Weg treffe. Und immer sind sie auf meine Sicherheit bedacht. Ich staune aber auch, wie viele ängstlich reagieren, wenn sie hören, dass ich alleine gehe. Gibt es so viele ängstliche Menschen? Oder bin ich naiv und erkenne vielleicht nicht die lauernde Gefahr? Anderseits... berechtigt oder nicht... die Angst nützt mir nichts. Ich bin eher davon überzeugt, dass sie Schlechtes anzieht.

Ich verlasse die Hauptstrasse und folge einer viel kleineren Straße, die sich durch eine wunderschöne Landschaft und wenige Dörfer schlängelt. Die Landschaft hat sich verändert; sie ist hügeliger geworden und das Grüne ist viel satter. Viele Olivenbäume und sobreiros (Eichen) prägen die Landschaft (eigentlich wie im Baixo Alentejo, dennoch ganz anders - Der Baixo Alentejo ist ja bekanntlich eher flach und trocken). Ich gehe durch ein Dorf (Azóia de Baixo), das sehr lang scheint, weil alle Häuser an der Straße gebaut sind. Hier verbrachte ein berühmter Schriftsteller der portugiesischen Romantik, Alexandre Herculano, seine letzten 10 Jahre, verbittert über die liberale Politik. Er widmete diese Zeit der Agrarwirtschaft und entwickelte u.a. eine neue Methode, um Olivenöl hoher Qualität herzustellen. Ein Denkmal befindet sich in der Mitte des Dorfes. Etwas später werde ich auf ein Haus aufmerksam, wo eine Frau gerade ihren Mann aufs heftigste beschimpft. Ich kann nicht verstehen, worum es geht.

Ich komme an das zweite Dorf, das nur aus wenigen Häusern und einem Café besteht. Vor dem Café steht ein Tisch, ein Stuhl und ein Sonnenschirm. Einladend! Hier mache ich eine Pause. Um meine Muskeln mit genügend Proteinen zu versorgen, bestelle ich mir eine gebratene Wurst (chouriço). Lecker! Das Salz tut auch gut. Zu meiner Überraschung, tauchen plötzlich die zwei belgischen Herren auf. Und ich hatte schon das Gefühl, als einzige Pilgerin unterwegs zu sein, was übrigens keineswegs langweilig sein muss. Man kann sich köstlich amüsieren durch Selbstgespräche, Singen, Experimente mit der Digitalkamera, Beobachtungen und natürlich durch Begegnungen mit anderen Menschen. Ehe es weiter geht, trinke ich noch einen galão.

Mir begegnet eine 91-jährige Frau. In den paar Worten die wir mit einander wechseln, sagt sie mir, dass fehlende Liebe das Schlimmste auf dieser Erde sei. Anders könnte man auch sagen, dass Liebe das wichtigste auf dieser Erde sei. Es klingt so klischeehaft, aber es stimmt. Bin ein bisschen traurig und fühle mich ein wenig einsam. Liegt wohl an der Müdigkeit und dem Wetter. Es ist kalt, sehr windig und droht zu regnen.

Bin in Minde. Eigentlich wollte ich in Monsanto übernachten. Im einzigen Residencial gab es aber keine freien Zimmer mehr. Die Kirche war auch zu, was meistens der Fall ist. Eigentlich komisch, dass es auf dem Caminho Português so wenig Schlafmöglichkeiten gibt. Der Bedarf ist da. Auch hier, finde ich, zeigt sich die etwas "zähere" Geschäftstüchtigkeit der Portugiesen im Vergleich z.B. zu den Spaniern (hat auch seine guten Seiten!). Ich musste also weiterlaufen. Es ging recht steil aufwärts, durch wildes Gebüsch. Ein Pilgerstab wurde mir nützlich, um stechende Zweige aus dem Weg zu räumen. Die Natur ist robuster und rauer geworden. Die Häuser haben sich auch verändert. Abgesehen von den ganz alten Häusern, sind die meisten hässlich. Sie sind groß, klotzig, schwer und haben hässliche Farben. Sie sind so aufdringlich. Und oft spießig und kitschig dazu. Komische Mischung.

Fand Unterkunft bei den Bombeiros. Hier übernachtete auch eine große Gruppe von Fátima-Pilgern aus Santarém. Wenn Portugiesen Gruppenausflüge machen, spürt man eine sehr charakteristische, familiäre und heitere Stimmung. Sie lachen viel, machen gerne Witze, sind albern, übertreiben in ihrem Gehabe und reden sehr laut, damit ja alle es hören. Schnell werden sie sehr vertraut untereinander (José wird schnell zu Zé), jedoch immer auf eine recht unschuldige, fast kindliche Art und Weise. Bei der Gruppe in Minde war es nicht anders. Ihrem Gepäck war anzusehen, dass sie es unmöglich auf dem Rücken trugen. Sie ließen es transportieren. Alles hatten sie dabei, natürlich auch die obligatorische Picknick-Gefriertasche (Box), voll gepackt mit sandes (belegten Broten) und kleine Milchkakao-Tüten. Ich fühlte mich etwas beschämt als eine Frau mir davon geben wollte, denn innerlich hatte ich ein wenig Hochmut gefühlt, weil ich von weiter her kam, noch viel weiter musste und mein Gepäck selber trug.





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Portugal-Post Nr. 39 / 2007





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